Use Case: Agile Fokusgruppen zur Konzeptionierung eines neuen Sortiments

Ein bekannter Retailer beabsichtigt, ein neues Sortiment speziell für männliche Hundebesitzer anzubieten. Um die Bedürfnisse der Zielgruppe bei der Kuration der Artikel zu berücksichtigen, sollen kurzfristig die Gewohnheiten relevanter Männer im Zusammenhang mit ihrem Hund erfragt werden. Besonderes Augenmerk sollen folgende Fragen bekommen: Welche Anforderungen haben die Männer an die Kleidung, die sie beim Gassi-Gehen bzw. längeren Spaziergängen mit ihrem Hund tragen? Was nehmen sie sonst noch alles mit? Wie transportieren sie diese Dinge?

Die Ergebnisse werden schnellstmöglich gebraucht. Die Befragung darf nicht viel kosten. Man entscheidet sich für die Durchführung von vier 2stündigen agilen Fokusgruppen - 2 mit Männern und 2 mit Frauen, die üblicherweise für ihre Männer Kleidung kaufen. In jeder Gruppe sitzen 6 Probanden. Die Gruppen finden beim Auftraggeber statt. Die Zielgruppe wird so offen wie möglich definiert, damit die Rekrutierung nicht zu lange Zeit benötigt. Mit einem standardisierten Screener, der lediglich um einige Fragen zur relevanten Zielgruppe ergänzt wird, startet der Rekrutierungsprozess durch ein spezialisiertes Callcenter noch am Tag der Auftragserteilung. Für die Rahmenbedingungen (Meetingraum, Nebenzimmer, Catering, Streaming-Lösung) sorgt der Auftraggeber. Die Moderatorin entwirft den Frageleitfaden unter Berücksichtigung der o.g. Forschungsfragen sowie den vorhandenen Testmaterialien und stimmt diesen mit dem Auftraggeber ab.

Bereits am 4. + 5. Tag nach der Auftragserteilung finden je zwei Fokusgruppen statt. Am Empfang unterschreiben die Probanden eine Datenschutz- sowie Verschwiegenheitserklärung. Und dann geht es los. Die Moderatorin startet mit dem Warm-up und führt die Diskussion gemäß dem Frageleitfaden. Mit Hilfe der Streaming-Lösung (hier: Skype) werden die Gespräche der Fokusgruppen in Bild und Ton live in einen benachbarten Raum übertragen und für die Auswertung aufgezeichnet. Damit können die Stakeholder aus den verschiedenen Abteilungen des Auftraggebers die Argumente der Probanden live miterleben – und das, ohne kostbare Zeit durch eine Reise zu investieren. Noch während der Fokusgruppen werden die wichtigen Argumente und Anregungen durch die Zuhöhrer auf Post-It protokolliert, kategorisiert und priorisiert. Jeder hat zudem die aufgabe, ihre ganz persönlichen Take Aways aufschreiben. Durch die Protokollführung aller internen Stakeholder sind alle Teil der Analyse. Es gibt keine Forschungs-Black Box, alles sind mit im Boot.

Am Folgetag erstellt die Moderatorin einen sog. Quick-Report. Die Post-It Wand als Fotodokumentation bildet dabei zusammen mit den Take Aways aller Zuschauer die Grundlage dafür. Der Report beantwortet alle Forschungsfragen, kurz und knapp und endet mit klaren Handlungsempfehlungen für die Kuration des neuen Sortiments. Auf einen ausführlichen Report wird verzichtet. In einer kurzes De-Briefing Session werden die Ergebnisse dann durchgesprochen, diskutiert und letzten Unklarheiten ausgeräumt.

Diary:

  • Freitag:

Beauftragung
Abstimmung des Screeners
Start der Rekrutierung

  • Montag:

Entwurf des Frageleitfadens
Vorbereitung der Rahmenbedingungen (Raum und Catering Bestellung, Streaming Lösung…)

  • Dienstag:

Abstimmung Frageleitfaden
Zusammenstellung des Testmaterials
Erstellung einer Ergebnis-Matrix für die Take Aways

  • Mittwoch/Donnerstag:

Durchführung der 4 Fokusgruppen

  • Freitag:

Bereitstellung des Untersuchungsreports mit Fotodokumentation und Handlungsempfehlung

Was ist eine agile Fokusgruppe?

Unter einer klassischen Fokusgruppe versteht man eine Gruppendiskussion, die in der Marktforschung zur qualitativen Beantwortung einer Forschungsfrage eingesetzt wird. Üblicherweise dauert eine Untersuchung mit Hilfe von klassischen Fokusgruppen mehrere Wochen von der Erstellung eines Screeners bis hin zu der Erstellung eines umfassenden Reports mit allen Detail-Ergebnisse, der dann häufig im Rahmen einer ausführlichen Ergebnispräsentation vorgestellt wird.
Dieses detaillierte Vorgehen ist beispielsweise angezeigt, wenn es um eine Grundlagenstudie geht. Für viele der heutigen, kurfristigen Entscheidungen dauert das jedoch zu lang und führt zudem zu erheblichen Kosten. In den meisten Fällen – d.h. wenn es darum geht, kurze und schnelle Feedbacks zu einem klar begrenzten Thema zu bekommen – braucht es jedoch häufig keine Analyse bis ins kleinste Detail - meist reichen hier 80%.

Bei einer agilen Fokusgruppe sind ebendiese Aspekte berücksichtigt. Eine agile Fokusgruppe zeichnet sich durch folgende Punkte aus:

  • Schnelle Gewinnung von Insights
  • Kostengünstige Durchführung
  • Durch Streaming der Gruppen können die Entscheidungsträger zuschauen
  • Durch die interaktive und interdisziplinäre Protokollführung aller sind alle Stakeholder Teil der Analyse
  • Es können noch kurzfristig vor den Gruppen Änderungen vorgenommen werden oder sogar neue Themen intergiert werden

Die Durchführung kann wie im oben beschriebenem Beispiel offline – also im Rahmen einer Präsenzveranstaltung durchgeführt werde – oder online mit Hilfe von Konferenztools (wie z.B. Zoom) oder speziellen Online Fokusgruppen-Lösungen (wie z.B. discuss.io) durchgeführt werden.

Warum sind agile Fokusgruppen für jedes Unternehmen geeignet?

Mit diesem agilen Format werden Marktforschungsuntersuchungen zu Themen, bei denen es bisher häufig z.B. aufgrund von Budgetrestriktionen oder der notwendigen Schnelligkeit bzw. Kurzfristigkeit nicht zu einer Befragung gekommen ist, möglich.

Für kleine Unternehmen oder Start-Ups ist die agile Befragung der Zielgruppe häufig die einzige finanzierbare Form der Marktforschung. Zudem ermöglicht es ihnen, mit Hilfe des neutralen Blicks der professionellen Marktforscher sehr nah bei ihren Kunden und potenziellen Kunden zu sein.

Große Unternehmen sichern ihre Investitionen in Produktentwicklungen oder Sortimentskonzepten durch kurze rekursive Sprints und einem unmittelbaren Feedback der Zielgruppen ab. Häufig wird dies dann mit der Start-Up Mentalität auch in etablierten Strukturen beschrieben. Und natürlich kann dieser Prozess dann auch in einer statistisch validen, quantitativen Untersuchung, die die Ergebnisse noch absichert münden.

6 Tipps für die Durchführung von agilen Fokusgruppen

Tipp 1: Erwartungsmanagement - Erkennen Sie die Grenzen!

Bereiten Sie die verantwortlichen Stakeholder im Marketing und/oder im Produktmanagement auch auf die Grenzen der agilen Fokusgruppen vor. Hierzu zählen beispielsweise:

  • Agile Fokusgruppen ersetzen keine Grundlagenstudien, in denen umfangreiche Detailergebnisse gewünscht sind.
  • Bei agilen Fokusgruppen bleiben Untergruppen der Zielgruppen häufig unberücksichtigt.
  • Marketeers muss klar sein, dass die Analyse aus Sicht des Marktforschers anders sein kann als aus ihrer persönlichen Sicht, auch wenn diese natürlich durch die Take Aways sehr wohl in die Analyse einfließt.
  • Will man Studiokosten sparen, in dem man die Gruppen in den Meetingräumen des Auftraggebers stattfinden lässt, bleibt dieser nicht geheim.
  • Bei Online-GDs können Probanden nur visuelle und auditive Testmaterialien beurteilen. Anfassen, schmecken, riechen geht nicht.

Tipp 2: Reduzieren Sie die Detailtiefe auf das Wesentliche!

Gerade bei der Beauftragung und der Abstimmung der Forschungsfragen sollten Sie auf eine angemessene Reduzierung der Detailtiefe achten. In agilen Fokusgruppen können in zwei Stunden nicht alle Aspekte, die rund um eine Produkt- oder Konzeptentwicklung relevant sind besprochen werden. Das ist schlicht zeitlich, aber auch hinsichtlich der Belastbarkeit der Gruppe nicht möglich. Eine agile Fokusgruppe sollte auf die wirklich wesentlichen Fragen zu dem jeweiligen Thema begrenzt werden. Eine Betrachtung einzelner Untergruppen der Zielgruppen wird ebenfalls sehr schwer, wenn nicht sogar unmöglich.

Tipp 3: Passen Sie das Testmaterial auf das Format an!

Allein schon aufgrund der zeitlichen Restriktionen ist eine „Konzept-Schlacht“ zu vermeiden. Die Materialien sollten intuitiv verständlich sein.

Tipp 4: Schaffen Sie eine Wohlfühlatmosphäre!

Die Probanden sind - ebenso wie bei der klassischen Variante - das Kapital einer agilen Fokusgruppe. Sie sollen sich wohl fühlen, damit sie bereitwillig  Fragen beantworten und gemeinsam diskutieren. Sorgen Sie daher für einen professionellen Rahmen. In einem spezialisierten Studio wird beispielsweise ein Catering angeboten. Der Empfang ist herzlich und die Einweisung muss verständlich und umfassend sein. Die Moderatorin sorgt mit ihrer Energie für eine positive und wertschätzende Gesprächsatmosphäre. Zudem muss ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass kritische Meinungen sehr willkommen sind und dass die Probanden sich trauen sollen – auch wenn sie Gast beim Auftraggeber sind – diese Kritik auch zu äußern.

Tipp 5: Entscheiden Sie sich für ein Format: Online-Fokusgruppen oder Offline-Fokusgruppen?

Prüfen Sie, welche Methode für Ihre Forschungsfragen geeignet ist:

  • Sind alle Testmaterialien online präsentierbar? Dann kommen neben Offline- auch Online-Fokusgruppen in frage.
  • Möchten Sie bundesweit forschen oder reicht die Befragung der Zielgruppe am Unternehmensstandort? Bundesweit funktioniert online, am Unternehmensstandort offline sehr gut.
  • Möchten Sie vielleicht einen Einblick in den Haushalt der Probanden? Bei Offline-Fokusgruppen können die Probanden Fotos mitbringen, bei Online-Fokusgruppen können sie die Dinge live zeigen und Sie einfach auf eine Entdeckungstour durch ihr Zuhause ‚mitnehmen‘.
  • Die Anzahl der Probanden ist bei Online-Fokusgruppen mit 4, bei Offline-Fokusgruppen mit 6 Teilnehmer*innen ideal

Tipp 6: Bringen Sie Licht in die Forschungs-Black Box. Binden Sie Ihre Stakeholder ein!

Binden Sie die verantwortlichen Entscheidungsträger unbedingt in den Prozess mit ein. Die Teilhabe - vom Zuschauen über die Protokollierung der Ergebnisse bis hin zu den Take Aways aus den O-Tönen der Probanden - ist Gold wert. Das hilft nicht nur bei der Analyse, sondern bietet den Marketeers zudem die Möglichkeit, Kontakt zu „ihren“ Konsumenten aufzunehmen. Die Einbindung bei agilen Fokusgruppen kann für Sie eine hilfreiche Erdung bedeuten.

Scroll to Top